Geschichten & Anekdoten aus der

schönen Fördestadt Flensburg

 

Wer liest sie nicht gerne – Erinnerungen an Begebenheiten, die in der eigenen Stadt spielen? Erinnern Sie sich an die Leierkastenfrau Mudder Ömchen, an den legendären Winter 1978/1979, als die Schneewehen mehrere Meter hoch waren, oder an die Anfänge der SG Flensburg-Handewitt in der Fördehalle?

Waren Sie in den goldenen 80er-Jahren an der Küste unterwegs? Wie entstand das Schuh-Phänomen in der Norderstraße? Was ist aus dem Nashorn geworden, das das Rathaus schmückte – und wie kam es überhaupt dorthin?

Britta Bendixen nimmt Sie mit auf eine amüsante und unterhaltsame Reise durch die jüngere Geschichte Flensburgs.

LESERMEINUNGEN:

 

Die letzte Fahrt der Flensburger Straßenbahn...Ich selber habe nicht in der Zeit der Flensburger Straßenbahnen gelebt aber die Autorin schaffte es, mich mit auf diese letzte Reise vom Bahnhof quer durch die heutige Fußgängerzone zu nehmen und zwar so, dass mich die toll beschriebenen Emotionen packten und ich sogar Gänsehaut bekam.
Nur eine von einigen tollen Geschichten.

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Sehr schön geschriebene Kurzgeschichten die meine Erinnerungen anregen und viel Freude bringen. Für in Flensburg Aufgewachsene ein Muss, nicht-Flensburgern wird der Charme von Mensch und Stadt sehr amüsant rübergebracht. Ich habe es heute noch mal gekauft, und als Weihnachtsgeschenk wird es noch mal Freude bringen.

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Für Flensburger ein Muss! Wir haben es im Familienkreis gelesen und viele Erinnerungen ausgetauscht ! Natürlich hatten wir einige andere Erinnerungen, aber das ist künstlerische Freiheit.

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Leseprobe aus "Flensburg - Um drei bei Eduscho"

 

Schnee bis zu den Hüften

 

  „Oma, Oma, guck mal! Es schneit ganz doll!“

 Die sechsjährige Johanna rannte von der Stube in die kleine Küche, wo ihre Oma gerade Kartoffeln schälte. Doch nun legte Herma Bengtsen das Messer zur Seite, trocknete sich die Hände an der Schürze ab und trat ans Fenster, wo ihre Enkelin bereits stand und mit leuchtenden Augen nach draußen sah.

 Dicke Flocken segelten gemächlich zu Boden und bedeckten die gepflasterte Auffahrt, die dunkle Erde am Rand des Hofes und die alte Holzbank, auf der Hermas Mann in der warmen Jahreszeit gern die letzten Sonnenstrahlen des Tages genoss.

 „Dascha gediegen“, murmelte sie leicht beunruhigt. „Da kommt ja ordentlich was runter.“

 Johanna riss sich von dem Anblick los und begann sogleich, sich ihre Stiefel an die Füße zu zerren. Jacke, Schal, Mütze – und dann nichts wie raus! Wenig später stand sie inmitten der sie umwirbelnden Schneeflocken, den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund weit aufgerissen. Mit der Zunge fing sie die leichten, gefrorenen Tropfen auf und ließ sie schmelzen. 

 Herma kehrte zu den Kartoffeln zurück, warf aber immer wieder nervöse Blicke nach draußen. Die Schneedecke, zuerst harmlos und dünn, wurde minütlich dicker. Außerdem schien der Wind aufzufrischen, das sah sie an den tanzenden Zweigen des Apfelbaums.

 Ihre beiden jüngsten Söhne, die 16jährigen Zwillinge Martin und Benno, kamen aus ihrem Zimmer und berichteten aufgeregt, dass es offenbar so bald nicht aufhören würde zu schneien. Der Wetterbericht im Radio hatte einen Schneesturm angekündigt.

 „Ist Vati schon da?“, fragte Benno. Herma schüttelte den Kopf. Ihr Mann war zwei Tage lang auf Amrum gewesen und sollte heute zurückkommen. Doch würde er das bei dem Wetter schaffen? Herma hatte plötzlich ein ganz ungutes Gefühl.

 

Am Abend war er noch immer nicht zurück. Sie saßen um den Esstisch versammelt und aßen Frikadellen mit Kartoffeln und gestovten Bohnen. Die Lichter am Weihnachtsbaum waren angezündet und ließen die bunten Kugeln glitzern, doch fröhliche Stimmung wollte nicht so recht aufkommen. Der Schnee reichte inzwischen fast bis zu den Fenstersimsen. Benno und Martin waren vor dem Essen mit dem Schlitten die Alsenstraße bis zur Apenrader Straße hinunter gerutscht und eine halbe Stunde später mit der Nachricht zurückgekehrt, dass praktisch keine Autos mehr fuhren, weil der Schnee zu hoch geworden war.

 Helga, Johannas Mutter und die älteste Tochter der Bengtsens, erzählte während der Mahlzeit, dass sie die letzten zwei Stunden vor Feierabend damit verbracht hatte, vor der Buchhandlung, in der sie arbeitete, Schnee zu schippen. Herma hörte nur mit einem Ohr zu. Das andere horchte nach draußen und wartete darauf, dass die Tür ging und ihr Mann nach Hause kam. Doch im Hausflur blieb es still.

 Nach dem Essen saß Herma vor dem Radio und hörte mit angehaltenem Atem die Nachrichten. Ein Hoch über Skandinavien traf über der Ostsee mit einem Tiefdruckgebiet aus dem Rheinland zusammen. Die Temperaturen würden weiter zurückgehen, Schneefall und Stürme würden befürchtet. Herma knetete das gelb bestickte Taschentuch, das noch von ihrer Mutter stammte, in ihren Händen.

 Helga trat zu ihr. „Vati geht es bestimmt gut. Der weiß sich doch immer zu helfen“, versuchte sie, ihre Mutter zu beruhigen. „Am besten gehst du schlafen. Morgen früh steht er bestimmt auf der Matte.“

 

Das tat er nicht. Es gab kein Lebenszeichen und Herma war mit ihren Nerven zu Fuß. Über Nacht war die Welt noch weißer geworden, die untere Hälfte der Fensterscheiben war von Schnee bedeckt, die Haustür ließ sich nicht öffnen, ohne dass die weiße Pracht in den Flur eindrang. Herma war kurz davor, loszuheulen. „Wir kommen hier nicht mehr weg! Wer weiß, wie lange. Und kaum noch was zu essen im Haus. Und euer Vater ...“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe.

 Martin und Benno wussten Rat. Sie stiegen die schmale Treppe in den ersten Stock hinauf, dessen zwei kleine Zimmer Helga und Johanna bewohnten, und sprangen von dort in den Hof  hinunter. Bis zu den Hüften versanken sie im Schnee und hatten Mühe, sich frei zu strampeln.

 Dann hieß es graben. Bis zur Schuppentür mussten sie die behandschuhten Hände benutzen, doch als sie die schmale Holztür endlich freigelegt hatten, kamen sie an die beiden Schneeschaufeln. Beherzt machten sie sich an die Arbeit und schippten, bis ihnen der Schweiß auf der Stirn stand.

 Herma hob immer wieder den Hörer von dem hellgrauen Telefon, um sicherzugehen, dass das Freizeichen zu hören war. Das gleichmäßige ‚Tüüüüü‘ drang zwar an ihr Ohr, doch von ihrem Mann hörte sie nichts. Ob er mit seinem kleinen Fiat irgendwo feststeckte? Womöglich auf einer Landstraße, wo es nichts gab außer Feldern und Weiden? Er könnte erfrieren! Das Taschentuch fuhr über Hermas Augen und wischte ein paar Tränen weg. Anschließend schnäuzte sie sich und schob das Tuch zurück in die Kitteltasche.

 „Jetzt geht’s!“, jubelte Martin von draußen. Benno holte den Schlitten aus dem Schuppen und Herma drückte Martin einen Zwanzig-Mark-Schein in die Hand. „Geht zum Edeka-Markt. Milch, Brot, Eier, ein paar Konserven, Kartoffeln und Wurst. Das ist das Wichtigste“, sagte sie ernst.

 „Aber in zwei Tagen ist Silvester“, wagte Martin einzuwenden. Herma seufzte und pulte noch einen Heiermann aus ihrem Portemonnaie. „Hier. Wenn was übrig ist, nehmt ein bisschen Cola mit und ein paar Salzstangen. Aber kein‘ Tüddelkram. Brot und Wurst ist wichtiger als Bier und Korn.“

 Es dauerte zwei Stunden, bis die Zwillinge zurückkamen, den Schlitten vollgepackt mit Lebensmitteln, dazwischen auch Chipstüten, eine Flasche Sonnberg-Rum und zwei Liter Cola.

 „Auf dem Land soll der Strom ausgefallen sein“, berichtete Benno. „Und die Heizung.  Angeblich sollen Hubschrauber dahin fliegen und den Leuten was zu essen bringen, wenn sich das Wetter nicht bald bessert.“

 Sofort waren Hermas Gedanken wieder bei ihrem Mann. Hoffentlich ging es ihm gut! Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde ihre Angst um ihn größer.

 

(...)

 Leseprobe Ende