Prolog

 

 

„Komm sofort zurück und mach die Tür auf, verdammt noch mal!“ Heftig und voller Wut hämmerte er mit der Faust gegen das Holz und brüllte dabei im Takt seiner Schläge: „Ich! Will! Hier! Raus! Ich! Will! Hier! Raus!“

 Schließlich ließ er mutlos die Arme sinken und drehte sich um. „Scheiße!“, entfuhr es ihm. „So eine verfluchte Scheiße!"

 Sein Blick wanderte durch den kleinen, schummerig beleuchteten Raum, der – gerade noch ein Ort der Erholung – schlagartig zu seinem Gefängnis geworden war. Sechs Kubikmeter Fichtenholzverkleidung umschlossen ihn wie ein hölzerner Kokon. Gegenüber der Tür waren in L-Form drei Bänke angebracht, übereinander, wie Stufen im Haus eines Riesen. Links neben der Tür hing ein Thermometer. Es zeigte 89°C an. Noch vor ein paar Minuten hatte er die Hitze als wohltuend empfunden. Inzwischen würde er alles dafür geben, ihr entkommen zu können. So heiß stellte er sich die Hölle vor, und er hatte nicht vor, in ihr zu verbrennen.

 Die feinen weißen Körner der Sanduhr, die er bei seinem Eintritt umgedreht hatte, waren inzwischen vollzählig im unteren Glas angekommen, was bedeutete, dass er bereits länger als eine Viertelstunde hier drin war.

 Er musste raus! Schwungvoll drehte er sich wieder zurück und knallte seine Faust gegen die schmale Tür. Doch sie gab nicht nach, bewegte sich keinen verdammten Millimeter. Er drehte die Sanduhr wieder um, damit er ein gewisses Zeitgefühl behielt und wusste, wie lange er hier ausharren musste. Wie lange es dauern würde, bis man ihn entweder befreite oder er elendig verrecken würde. Bei dem Gedanken zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Er setzte sich auf die unterste Holzbank und grübelte über seine Lage nach, während der Schweiß über seine Haut rann, an den Armen hinunter bis zu den Händen, von wo er tröpfchenweise zu Boden fiel und über seine dunkel behaarte Brust bis zum Bauch, wo er sich in den Hautfalten als kleiner Rinnsal sammelte. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, über Mund und Kinn, doch der fortgewischte Schweißfilm wurde umgehend durch einen neuen ersetzt.

 Er hatte inzwischen heftigen Durst. Zudem fühlte er sich müde und erschöpft von dem langen, ereignisreichen Tag. Er wollte ins Bett, sehnte sich nach Schlaf. Doch anstatt sich auf kühlen Laken auszustrecken, saß er auf einer harten Holzbank, verschwitzt, durstig und ohne Gewissheit, dass er in absehbarer Zeit hier herauskommen würde. Von den anderen wusste keiner, dass er hier war und in tödlicher Gefahr schwebte. Und nach dem, was gerade vorgefallen war, musste er damit rechnen, dass er hier nicht lebend herauskam, dass niemand ihn befreien würde. Es war später Abend, bis ihn jemand fand konnten noch viele Stunden vergehen.

 Bis dahin würde es zu spät sein. Irgendetwas musste er tun!

 Sein Blick fiel auf die kleine Scheibe in der Tür. Sie hatte Form und Größe einer Zeitschrift und war damit viel zu winzig, als dass er durch sie die Sauna hätte verlassen können. Doch wenn er sie kaputtschlug, würde man seine Hilferufe vielleicht eher hören. Außerdem käme zumindest etwas kühlere Luft herein. Der Gedanke, etwas anderes als diese trockene Hitze einzuatmen, die in seinen Lungen brannte, erfüllte ihn voll und ganz. Mit neu erwachter Zuversicht sah er sich um, suchte etwas, womit er die Scheibe zerschlagen könnte. Der Holzkeil, auf den er noch vor fünf Minuten entspannt seinen Kopf gebettet hatte, fiel in sein Blickfeld.

 Er ergriff ihn und stand auf. Sein Kreislauf fing an, ihn im Stich zu lassen, ihn schwindelte. Er schloss kurz die Augen und stützte sich an der Wand ab, bis der Raum aufhörte, sich um ihn zu drehen. Dann atmete er tief durch, hob den Keil mit beiden Händen über seinen Kopf, zielte und ließ ihn schwungvoll auf das Fenster krachen.

 Er hatte das Geräusch von splitterndem Glas erwartet, doch alles, was er hörte, war ein dumpfer, satter Ton. Als der Keil von der Scheibe abprallte, rutschte er aus seinen verschwitzten Händen und polterte auf den Boden. Das war kein herkömmliches Glas, es war Plexiglas! Abgesehen von einem langen, kaum sichtbaren Kratzer war die Scheibe absolut unversehrt. Er heulte laut auf vor Wut und Enttäuschung. „So eine verdammte Scheiße!“, brüllte er herzhaft. Er fuhr sich über die Wangen, ohne zu wissen, ob es Schweiß war, den er von seinem Gesicht wischte, oder Tränen der Angst und Verzweiflung. Es war ihm auch vollkommen gleichgültig. Wichtig war einzig und allein, hier herauszukommen. Zu überleben.

 Er rief erneut um Hilfe, doch die Wände warfen seine Rufe hämisch zurück, zumindest kam es ihm so vor.

 Ernüchtert ließ er sich auf die Bank fallen. Den Kopf in die Hände und die Ellenbogen auf die Knie gestützt überlegte er, was er tun konnte, um diesem höllisch heißen Gefängnis zu entfliehen. Mit den Händen fuhr er sich durch das kurze dunkle Haar. Es war klatschnass.

 Der Durst wurde immer unerträglicher. Jeder Atemzug war eine Tortur. Sein ganzer Körper schwamm praktisch in Flüssigkeit, doch seine Mundhöhle war staubtrocken. Seine Zunge fühlte sich wie ein Fremdkörper an, als wäre sie ein Stück Wildleder, das sich irrtümlich in seinen Mund verirrt hatte.

 Völlige Stille umgab ihn. Nur der Ofen knisterte und knackte. In seinen Ohren klang es bedrohlich, wie das Kichern des Todes.

 Die Sandkörner hatten sich erneut im unteren Glas gesammelt. Er war jetzt also länger als eine halbe Stunde dieser extremen Hitze ausgesetzt. Schwerfällig erhob er sich von der Bank, stützte sich an der Wand ab und drehte die Uhr erneut um. Ausatmend setzte er sich wieder auf die unterste Bank. Sogar diese winzige körperliche Anstrengung hatte ihn erschöpft.

 Während er zusah, wie die Zeit in Form weißer Sandkörner verrann, hätte er heulen können. Er musste hier verschwinden, so schnell wie möglich. Aber wie? Ohne große Hoffnung schweifte sein Blick durch den kleinen Raum, während er leise vor sich hin fluchte. Irgendeine Möglichkeit musste es doch geben, verdammt noch mal!

 Die unermüdlich vor sich hin dampfenden Steine auf dem zylinderförmigen Ofen fielen ihm ins Auge. Vielleicht war ein Stein hart genug, um die Scheibe zu durchbrechen! Sein Verstand sagte ihm, dass es unwahrscheinlich war, doch es war auch seine letzte Hoffnung. Er hob die Kelle aus dem Holzeimer, der zu seinen Füßen stand. Das Wasser darin erzeugte ein leises Plätschern, das für ihn so verlockend klang wie der Ruf der Sirene für die Seeleute der Antike. Er schöpfte etwas von der Flüssigkeit heraus und hob langsam und vorsichtig die Kelle an den Mund. Bloß keinen Tropfen verschwenden, indem zu hastige Bewegungen seiner zitternden Hand das kostbare Wasser verschütteten.

 Seine ausgetrocknete Zunge saugte das warme, nach Eukalyptus duftende Wasser auf wie ein Schwamm. Es schmeckte scheußlich, war aber dennoch so etwas wie ein kleiner Hoffnungsschimmer. Solange er dieses warme, an Hustenbonbons erinnernde Wasser hatte, war nicht alles verloren. Der kleine Eimer war allerdings nicht einmal halbvoll. Etwas weniger als ein Liter, schätzte er. Wie lange würde es wohl reichen, wie lange würde es ihn vor dem Verdursten bewahren? Er musste unbedingt sparsam damit umgehen.

 

(LESEPROBE ENDE)